Geschichte

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Als wenige Tage vor der Jahrtausendwende die Schlüssel übergeben wurden und die ersten Bewohnerinnen und Bewohner in die autofreie Mustersiedlung einzogen, begann die neue Siedlung zu leben.

Die ersten Überlegungen und Planungen dafür waren bereits in den frühen 1990er-Jahren erfolgt. In dieser Zeit wurden auch in anderen Städten wie z. B. in Freiburg und Bremen, autofreie Stadtteile oder Siedlungen geplant. Man wollte die problematischen Auswirkungen des zunehmenden Autoverkehrs in den Griff bekommen – unter anderem dadurch, dass andere, nicht auf das eigene Auto konzentrierte Wohnformen attraktiver gemacht wurden. In Wien war der damalige grüne Stadtrat Christoph Chorherr ein besonders engagierter Verfechter des autofreien Wohnens. Seine Initiative war für das Zustandekommen der autofreie Mustersiedlung besonders wichtig. Im Dezember 1992 stellten die Grünen einen entsprechenden Antrag im Gemeinderat. In einem intensiven Diskussionsprozess stellten sich schließlich auch die Verantwortlichen der Wiener Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik hinter das Projekt. Mit dem Areal Donaufelderstraße / Fultonstraße / Nordmanngasse, wurde ein geeigneter Standort gefunden. Der damals noch hier befindliche Industriebetrieb AGA, der Gasflaschen herstellte, übersiedelte in ein Industriegebiet am Stadtrrand.
Ab dem Jahr 1994 konnte man sich für die Wohnungen anmelden, und das Interesse war von Anfang an sehr groß. Im Jahr 1996 wurden mit der Flächenwidmung und mit der Änderung des Garagengesetzes die Rechtsgrundlagen für die Errichtung der Autofreien Mustersiedlung geschaffen. Im gleichen Jahr fand der Bauträger- und Architekturwettbewerb statt, aus dem schließlich die Bietergemeinschaft domizil / GEWOG mit dem Architektur-Team Cornelia Schindler und Rudolf Szedenik als Siegerin hervorging. Es waren noch einige Besprechungen und Sitzungen notwendig, bis alle Fragen der Wohnbauförderung und Finanzierung sowie der rechtlichen Sicherstellung der Autofreiheit geklärt waren. Im Juni 1997 wurde schließlich die Baubewilligung erteilt, im Oktober der Grundstein gelegt – durch Einmauern eines Fahrradständers. In den nächsten jahren wurden 244 Mietwohnungen mit Eigentumsoption sowie mehrere Gemeinschaftsräume, vor allem auf den Dächern und am “versunkenen Platz”, errichtet. Die zukünftigen MieterInnen wurden zu diversen Info-Veranstaltungen eingeladen und erhielten schon während der Bauphase einige Möglichkeiten der Mitbestimmung, vor allem bei der Ausgestaltung der Gemeinschaftseinrichtungen und Freiräume. Auf diese Weise konnten sich die Bewohnerinnen und Bewohner schon vor dem Einzug kennenlernen. Im Dezember 1999 war die Autofreie Mustersiedlung schließlich fertiggestellt. In den folgenden Wochen und Monaten zogen die neuen Bewohnerinnen und Bewohner ein und machten sich mit ihrer neuen Siedlung, den Nachbarn und der neuen Umgebung vertraut. In dieser Zeit stand meistens ein Möbelwagen in der Einfahrt, überall wurde gebohrt und gehämmert, und die Aufzüge waren zum Schutz vor Kratzern mit Sperrholzplatten ausgekleidet.

In den Jahren, die seither vergangen sind, ist die Siedlung zur selbstverständlichen Heimat geworden. Die Bäume und die Kletterpflanzen an den Fassaden sind gewachsen, die Kinder von damals sind erwachsen, und viele Kinder wurden geboren. Die autofreie Mustersiedlung gilt zu Recht als besonders kinderfreundlich. Die nachbarschaftlichen Beziehungen in der Siedlung haben sich vertieft, bald auch unterstützt durch einen eigenen E-Mail-Verteiler. Diverse Arbeitsgruppen zur Verwaltung und Pflege der Gemeinschaftsräume und der Freiräume sind entstanden, in denen viele Menschen ehrenamtlich und in ihrer Freizeit arbeiten. Die Interessen der BewohnerInnen werden durch den BewohnerInnenbeirat gewahrt. Einige Bewohner haben sich besonders engagiert, um Baumängel in den Griff zu bekommen und die Betriebskosten für die BewohnerInnen möglichst niedrig zu halten. Es gab immer wieder auch einige Schwierigkeiten und zu überwinden, wie z. B. bei der Organisation der Hausbetreuung.
Von 2010 bis 2015 hatten die MieterInnen die Möglichkeit, ihre Wohnung im Eigentum zu erwerben. Überdurchschnittlich viele haben diese Möglichkeit genutzt.
In der autofreien Siedlung hat sich von Beginn an ein reges Gemeinschaftsleben entwickelt. Hier werden besonders viele Veranstaltungen und Freizeitaktivitäten auf ehrenamtliche Weise organisiert, z. B. Bio-Märkte, Flohmärkte, musikalische Aktivitäten wie Chor oder Trommeln, Spieleabende und Handarbeitstreffs. Ein Fixpunkt im gesellschaftlichen Leben der autofreien Mustersiedlung ist das Siedlungsfest, das seit 2000 jedes Jahr im Frühsommer stattfindet.

Christoph Chorherr, einer der Initiatoren der Siedlung, hat eine Chronologie der Ereignisse aus seiner Sicht verfasst.